Spürbare Poesie der Stadt
Luftmuseum Amberg zeigt „Neun Städte aus der Luft“ von Nina Wilsmann
Geboren wurde Nina Simone Wilsmann 1978 in Wasserburg am Inn. Dort, in dem malerischen Zwölftausendeinwohnerstädtchen, das auf einer Halbinsel in einer Flussschleife liegt, hielt sie es am längsten aus: bis zum Abitur nämlich. Dann aber wurde ihr Leben rastlos. Sie zog zunächst nach München, um dort Kunstgeschichte zu studieren. Das wurde ihr aber bald zu bunt respektive zu grau, denn eigentlich hatte sie sich mit Bildern nicht nur theoretisch befassen wollen. Sie wollte selbst kreativ sein!
Deshalb sattelte sie um auf Kommunikationsdesign und wählte Augsburg als Ausgangspunkt für ihre Studien und zog dort in der Stadt mindestens sieben Mal um. Und einmal sogar bis nach Katalanien. An jedem ihrer neuen Standorte orientierte sie sich mit den üblichen Hilfsmitteln, mit Stadtplan oder per Google Maps. Bald aber war ihr die Austauschbarkeit des Designs ein Dorn im Auge. Selbst vitale und interessante Städte wie Barcelona erscheinen ungeheuer langweilig und monoton, wenn man sie nur vom Plan her kennt.
Leib- und Magenthema
Wilhelm Koch wurde auf die Kunst der Designerin im Web aufmerksam: Der Leiter des Luftmuseums ist stets auf der Suche nach Künstlern, die etwas mit der Luft, seinem Leib- und Magenthema, am Hut haben. Hier, bei den Stadtplänen von Nina Wilsmann, da ist es natürlich zuallererst die Vogelperspektive, der Blick von Oben, der interessant war für ihn. Im konkreten Fall kommt aber noch das graphische Element hinzu, die Farbigkeit und das Verspielte, das den Ausstellungsbesucher im Luftmuseum sogleich verzaubert: Nina Wilsmann setzt auf bekannte Kompositionsmuster der Pop-Art, verwendet Piktogramme und Symbole , Farben und Formen, mischt Abstraktes mit Konkretem und haucht so ihren Städtebildern sofort den Atem der Lebendigkeit ein.
Plötzlich beginnt das Paris ihres Stadtplans zu duften, nach Bonbons und nach Lavendel und nach Pfefferminz, auch nach dem Kies im Jardin du Luxembourg und dem Stahl des Eiffelturms.
Beim Plan von Wien, ihrem heutigen Wohnort (aber nur unter der Woche – denn am Wochenende, lebt sie jetzt in Budapest!), da glaubt der Betrachter, hören zu können, wie jeder Wiener den Prater unterm Herzen trägt, mit Seiltänzern, Königstigern und Reifenspringern. Und ihr Hamburg, ja, ihr Hamburg lädt mit seiner kleinen Armada an Booten auf der Binnenalster zum Segeln ein.
Die
Stadtpläne von Nina Wilsmann sind
Futter fürs Auge und Nahrung fürs
Gehirn, kleine Wunscherzeugungsmaschinen
und Hebel, die die Nebel
unserer Erinnerung lüften. Es ist eine
fantastische Graphik, die Fantasiemomente
freisetzt und die Poesie
von Städten spürbar macht, die ansetzt
an Altbekanntem und jedermann
Geläufigem. Sie kommt daher
wie ein Déjà-vu einer Kinderbuchillustration
aus den 1960er Jahren und
ist dabei doch höchst originell und
völlig eigenständig.
Höchste Designer-Preise
Wilhelm Koch ist bekanntermaßen
selbst ein Kreativkraftwerk, einer, der
hinter der Maske seines verschmitzten
Lächelns immer eine neue Idee
ausbrütet. Mit dem argentinischen
Architekturzeichner Pablo de la Riestra
hat er vor Jahren Großes für Amberg
bewirkt. Er hat in Gestalt des
Stadtmarketingvereins und der Firma
Lüdecke Paten gefunden, die mithalfen,
die architektonischen Juwelen
Ambergs zu fixieren. So hat er der
Stadt dabei geholfen, ihre historische
Würde und Gravität zu bewahren.
Die in Wien und Budapest ansässige
Oberbayerin, ausgezeichnet mit
höchsten Designer-Preisen (Gewinnerin
bei „100 beste Plakate“; Silberauszeichnung
beim Joseph-Binder-
Award und Nominierung für den
German-Design-Award), führt mit
ihrer Ausstellung musterhaft vor, wie
Amberg um eine zeitgemäßes Porträt
bereichert werden könnte.
Text von Peter Geiger